Der Ehemann von Frau C. stand vor einer herausfordenden Bypass-Operation, die mit einigen Komplikationen einherging. In diesem Erfahrungsbericht schildert seine Ehefrau ihre ganz persönlichen und emotionalen Eindrücke vom Aufenthalt auf der Intensivstation. 

"Im April 2016 ist mein Leben total auf den Kopf gestellt worden. Mein Man soll einige Bypässe bekommen. Da es die 2. Operation mit Brustkorböffnung ist, wird es sehr schwierig und ist mir vielen Risiken verbunden. Aber Wir fühlen uns in guten Händen. Da es eine Menge Vertrauen gibt sind wir genau hierhergekommen. 2011 ist er in der Uni nach einem Aortenriß schon mal gerettet worden. Damals hieß es nach der Operation, die Chancen zu überleben liegen höchstens bei 10%. Und die nach der OP zu überleben genau so wenig. Jetzt - 6 Jahre später - steht eine weitere OP an die geplant werden kann im Gegensatz zu 2011 - damals war es ein Notfall. Also warum soll das schiefgehen.

Die Aufklärung der Herzchirurgin war schockierend. Sie hat alle Gefahren bis ins Detail ausgemalt. Die Angst wird langsam größer. Wir trösten uns gegenseitig. In Düsseldorf haben die Ärzte schon gesagt, es ist eine Operation die ihn retten kann, ansonsten seien die Herzkranzgefäße dermaßen zu, dass mein Mann nicht mehr lange leben wird. Auch hier in Münster raten Sie dringend zu der OP, obwohl sie selbst anscheinend Angst davor haben. Welche andere Chance haben wir denn? Warten bis der Tod kommt? Hoffen das alle Ärzte Unrecht haben? Bei jeder Atemnot, jeder Belastungsgrenze mit der Angst leben gleich war es zu viel? Das ist kein Leben!

Und trotzdem, was dann kam, daran haben wir im Traum nicht gedacht. Der Operateur (der auch 2011 operiert hat) kommt zum Gespräch und macht meinem Mann Mut. Er glaubt ihm.

Am Montag ist die Operation angesetzt auf ca. 6-8 Stunden.

Morgens ist er als Erster dran. Ich schaffe kaum zu Frühstücken und laufe wie verrückt durch Münster - stundenlang - bis zur Erschöpfung. Und ich denke nur an meinen Mann. Schicke ihm alle meine Kraft. Nach 6 Stunden frage ich nach. Die Station kann mir nichts sagen. Ich soll mich in einer Stunde nochmal melden. So geht es ganze 10 Stunden lang. Ich sitze vor der OP Intensiv. 12 Stunden sind seit OP Beginn vergangen und es sieht nicht gut aus. Die Ärzte machen den Brustkorb noch nicht zu. Alle Komplikationen, die irgendwie zu befürchten waren, sind eingetreten. Verletzung des Implantates, Hirnschläge, Nierenversagen, Sepsis, septischer Schock, Kammerflimmern, Kreislaufstillstand und er liegt an der der „ECMO“ einer Herz-Lungen-Maschine. Ich fühle mich wie in Watte. Es ist alles nicht zu glauben. Ein Arzt klärt mich auf und macht mir wenig Hoffnung, verspricht aber alles zu tun, um meinen Mann durch zu bringen. Ich beschließe nicht aufzugeben. Wir sind hierhergekommen um Franks Überleben zu sichern und nicht um von seinem Leben Abschied zu nehmen.

Ich darf – obwohl es ein Bereich ist, in dem keine Besucher Zutritt haben – kurz zu ihm rein. Ich blende alles aus, die Maschinen, die vielen Schläuche, das Piepen und Zischen der Maschinen. Ich sehe nur meinen Schatz daliegen. Nehme vorsichtig seine Hand und spreche ganz leise mit ihm. Ich bündele alle Kraft die ich habe in meinem Herzen und schicke sie ihm. Sage das alles wieder gut wird und ich bei ihm bleibe, er keine Angst haben muss. Ich verspreche aufzupassen und ihn nicht alleine zu lassen. Die Ärzte sind sehr lieb und gehen auch mit den Patienten sehr respektvoll um. Es wird mit den Patienten gesprochen und alles erklärt, Mut gemacht und ich bin ganz sicher, dass es genau das ist was ihn hier wieder lebend herausbringt.

Es folgt eine lange bange Nacht und ich fange wieder an, wie schon 2011, Tagebuch zu schreiben. Ich schreibe alles was mir so in den Sinn kommt. Meine Gefühle, Wut, Angst, Zuversicht und auch ganz banale Sachen die einem in so einer Situation einfallen auf. Manchmal sind es auch absurd scheinende Gedanken die mit der Situation nichts zu tun haben. Egal alles wird zu Papier gebracht.  In dem Moment, in dem ich meine Gedanken zu Papier gebracht habe, weiß ich auch schon nicht mehr was ich da geschrieben habe. Es werden viele Wochen der Gefühlsachterbahnen folgen. Die er alle auf der Intensivstation verbringt.

Wir haben mal gesagt „In guten wie in schlechten Tagen“ und ich habe mir vorgenommen das der Tod uns hier noch nicht scheidet und das werde ich auch erreichen. Punkt…. Da können die erzählen was die wollen. Die Ärzte und das Pflegepersonal sind sehr nett hier. Ich darf bleiben so lange und viel ich möchte. Ich spüre es tut ihm – es tut uns Beiden gut. Während ich in den nächsten Wochen am Bett sitze schicke ich meinem Mann immer wieder all meine Kraft. Ich sage ihm, dass ich da bin und lasse es ihn spüren. Streichle seine Hand und übernehme bald große Teile seiner Pflege. Nicht weil mir das Personal nicht fleißig genug ist oder es mir nicht gut genug machen. Ich habe das Gefühl, dass es meinem Mann gut tut. Es ist ihm sicher angenehmer, wenn ich ihn wasche und so bleiben wir auch im Körperkontakt. Man gewöhnt sich ganz schnell daran, dass der geliebte Mensch so anders aussieht – aufgedunsen – fremder Gesichtsausdruck – leere Augen – oft fragender Blick – Verzweiflung – Trauer alles gehört dazu und ist in Ordnung. Und genauso schreibe ich es in mein Tagebuch. Nach 3 Wochen ist das erste Buch voll und ich beginne das zweite. Es entlastet die Seele.

2011 habe ich bei der ersten schweren Operation damit angefangen, Tagebuch über den Aufenthalt im Krankenhaus zu schreiben. Es hilft einem selbst, mit dem täglichen Geschehen fertig zu werden. Habe mir damals vorgenommen, es meinem Mann zu seinem „ersten Geburtstag“ ein Jahr nach der Operation zu schenken. Das habe ich auch getan. Habe ihm gesagt es ist ein Buch von dem ich selber nicht mehr weiß was darin steht. Es ist gespickt mit der ganzen Geschichte und vielen Gefühlen. „Du kannst es irgendwann mal lesen, wegwerfen oder was immer du willst“. Es stand lange bei uns im Schrank. Einige Monate nach seinem ersten Geburtstag habe ich ihn gesehen wie er mit Tränen in den Augen in dem Buch gelesen hat. Es hat ihm sehr geholfen mit seinem Seelenschmerz, den so ein massiver Eingriff hinterlässt fertig zu werden. Es hat ihm auch ein bisschen wieder gegeben aus einer Zeit an die er keine Erinnerung mehr hatte und die einfach fehlt.

Während der Intensivzeit klären Ärzte mich immer wieder über die Schwere der Erkrankung auf und sagen auch das sie nicht wirklich viel Hoffnung auf Genesung hegen. Ich veranlasse auf der einen Seite alles, was in so einer Situation nötig ist und mir angeraten wird, aber ich gebe vor allem nicht auf. Tröste unseren Sohn und vor allem meinen Mann. Mache ihm immer wieder Mut. Ich rede von all den Dingen die wir noch vorhaben und schon erlebt haben – 32 Jahre sind kein Pappenstiel! Wir werden uns einen Wohnwagen kaufen und viele schöne Urlaube machen, sobald er wieder fit ist. Und ich merke das er genau spürt und hört, dass ich da bin. Das ist genau das, was ihn am Leben hält. Da bin ich vollkommen sicher. Immer wieder spüre ich, dass der Sensenmann an die Türe klopft – genau in den Momenten bündle ich all meine Kraft und schicke ihm ein ganz intensives Gefühl, sage ihm das er mich nicht verlassen darf und wir das gemeinsam schaffen. Es gibt sicher Leute die mich für ein bisschen gaga halten aber ich bin ganz sicher das genau das hilft. Also nicht gaga zu sein, sondern ihm die Kraft zu schicken.

Während der Intensivzeit werde ich von einer Ärztin angesprochen, ob ich mich in der Lage fühlen würde mit einer Frau zu sprechen deren Mann genauso schlecht liegt wie mein Mann. Die Ärztin hat mitbekommen, wie ich mich mit dem Tagebuch schreiben selber therapiere und denkt es könnte der Frau helfen. Sie ist eine eher negativ denkende, verzweifelte, liebende Frau. Nach unserem langen Gespräch beginnt Sie mit dem Schreiben. Erst zaghaft und dann erzählt Sie mir viele Tage später das Sie jetzt öfter mal zur Ruhe findet und ein bisschen positiver in die Zukunft guckt. Unser Kontakt soll lange nicht abbrechen und ich erlebe, wie diese Frau in ihrer Einstellung immer positiver und kämpferischer wird. Unsere beiden Männer sollen die Intensivstation wieder lebend verlassen.

Am Tag als mein Mann auf die Normalstation verlegt wird, kommt eine Frau auf das Intensivzimmer meines Mannes. Sie hat Krebs, der Kopf ist betroffen. Ich bekomme mit, wie der Ehemann vollkommen verzweifelt neben dem Bett steht und nicht weiß, was er tun soll. Die Schwester ist sehr lieb. Versorgt die Frau und versucht den Mann zu trösten. Sie rät ihm, in die Cafeteria zu gehen und wieder zu kommen, wenn er sich gefasst hat. Ich kann nicht anders, laufe dem Mann auf den Flur hinterher. Er weint sehr und ist total verzweifelt. Ich spreche ihn an, dass ich mitbekommen habe um was es geht. Ich erzähle ihm von uns, mache ihm Mut und bitte ihn nicht zu verzweifeln. Erkläre wie er seiner Frau Mut machen kann und wie er selber seine Kraft zusammenhält. Nach unserem Gespräch lächelt er, bedankt sich und drückt meine Hand ganz fest. Ich sage ihm das er wenn er sich ein bisschen gestärkt hat am besten zu seiner Frau setzt, ihr alle Kraft schickt und nicht verzweifeln soll.

Wochen später treffe ich diesen Mann nochmal, er lächelt, erinnert sich sofort. Bedankt sich nochmal und erzählt mir von seiner Frau die noch auf der Intensivstation liegt, aber wir nehmen uns beide vor, aufgegeben wird erst, wenn wirklich Schluss ist.

Ich weiß nicht wie unsere Zukunft aussieht und auch nicht was noch kommt, aber ich glaube fest an die unglaubliche Kraft guter Gedanken und an die Seelenhygiene durch Tagebücher."